Die Würde der Betroffenen achten

Psycho-soziale Aspekte

«Nach meiner Erfahrung ist auch eine Weltreise möglich, keine Frage!» Susanne Edelmann begleitet Menschen mit Nierenkrankheiten. Sie weiss, was Betroffenen zusetzt und wie sie die psychosozialen Belastungen der Erkrankung bewältigen können.

Autor: Dr. phil. Bernhard Spring

Eine chronische Nierenkrankheit bleibt über lange Zeit vollkommen unbemerkt . Oft wird sie diagnostiziert, ohne dass den Betroffenen zuvor die eingeschränkte Nierenfunktion bewusst war. Umso verstörender kann die Diagnose sein. «Viele Patienten erleben diesen Moment als Akutkrise», weiss Susanne Edelmann aus langer Erfahrung als psycho-nephrologische Beraterin. «Für sie bricht eine Welt zusammen, weil das Leben, so wie es war, auf einen Schlag vorbei ist und nie wieder so sein wird wie zuvor.»

Nach dem Diagnose-Schock

Niemand sollte sich falsche Hoffnungen machen: Die Nierenkrankheit muss höchstwahrscheinlich irgendwann mit einer Dialyse behandelt werden. «Diesen Gedanken zu ertragen, ist schwer», so Edelmann. Die Expertin warnt jedoch eindringlich davor, allzu düster in die Zukunft zu sehen. «Je nach Nierenfunktion dauert es manchmal auch bei einer eingeschränkten Nierenfunktion mehrere Jahre, bis über die Dialyse nachgedacht werden muss. Und auch mit der Dialyse ist das Leben nicht zu Ende.»

Aus diesem Grund rät sie dazu, zunächst einmal Ruhe zu bewahren. Unmittelbar nach der Diagnose sollten keine Veränderungen im Alltag und in der Lebensplanung vorgenommen werden. «Es tut gut, die gewohnte Normalität weiterzuleben. So gewinnen Betroffene ihre Sicherheit zurück», versichert Edelmann. Es braucht jetzt Zeit, um die Diagnose anzunehmen und die Gedanken, die aufkommen, zu ordnen. Dabei kann ein Gespräch mit einer vertrauten Person hilfreich sein. Ausserdem sollten drängende Fragen notiert werden, die der behandelnde Arzt beim nächsten Termin beantworten kann. Zwischen Diagnose und Beratung sollten zwei bis vier Wochen liegen. «So viel Zeit braucht es meistens, um den Schock zu verkraften», weiss Edelmann. «Und diese Zeit darf man sich ruhig auch nehmen. Den Krankheitsverlauf beeinflusst dieses kleine Zeitfenster nicht.»

Leben mit düsteren Aussichten?

Die Furcht vor der Dialyse begleitet viele Betroffene wie ein Damoklesschwert. «Es besteht die Gefahr, dass sie aufhören zu leben», warnt die Expertin. «Sie schränken ihr Leben ein, ziehen sich zurück.» Die Fortbildung, die Urlaubsplanung, der Kinderwunsch: All das wird häufig auf Eis gelegt. Doch diesen Weg kann Edelmann nicht empfehlen. «Natürlich wäre es einfacher für viele Betroffene zu wissen, wann die Dialyse kommt, statt darauf zu warten. Aber bei einer Nierenkrankheit lässt sich der Verlauf nun einmal nicht planen. Damit muss man lernen zurechtzukommen, so schwer es auch ist.»

Sicherheit entsteht nach ihrer Erfahrung, indem sich Betroffene immer wieder fragen, was ihnen guttut, und ihre Ziele dann Schritt für Schritt umsetzen. Hilfreich kann dabei das persönliche Umfeld sein. «Wichtig ist, dass die Familie und Freunde die Würde des Erkrankten achten», mahnt Edelmann. «Angehörige verlieren sich häufig in Aktionismus. Dabei laufen sie Gefahr, die eigentlichen Wünsche des Patienten zu übersehen.»

Ergänzend empfiehlt die Expertin den Austausch mit anderen Betroffenen: «Niemand versteht die Gefühle und Gedanken eines Erkrankten so gut wie Menschen, die das auch durchmachen.»

Selbstsorge in allen Phasen der Krankheit

Edelmann weist darauf hin, dass trotz allem die negativen Gefühle in manchen Momenten auch einmal Überhand gewinnen können. Vor allem die Dialyse belastet viele Betroffene: Wenn sie ambulant durchgeführt wird, bekommen die Patienten ihre Hilfsbedürftigkeit und Abhängigkeit vor Augen geführt. Findet die Dialyse zu Hause statt, wird die Krankheit im heimischen Umfeld, beispielsweise im Schlafzimmer, sichtbar.

Die Expertin rät, die negativen Gefühle nicht zurückzudrängen, sondern sich mit ihnen aktiv auseinanderzusetzen. «Mal hilft ein Gespräch, mal etwas Ruhe und ein gutes Buch, mal der Spaziergang, der Abstand bringt. Egal, was es ist: Es kommt darauf an, dass man eine gute Selbstsorge betreibt und sich immer wieder Raum schafft für das, was einem guttut.»

Hilfe vor Ort

Der Verband Nierenpatienten Schweiz ist mit zahlreichen regionalen Gruppen im ganzen Land vertreten. Er bietet umfassende Informationen zur Nierenkrankheiten und Kontaktadressen von Experten. Ausserdem organisiert der Verband den Austausch von Betroffenen und Angehörigen.

Die Expertin

Susanne Edelmann

Psycho-Nephrologische Beraterin Leiterin des Psycho-Nephrologischen Beratungszentrums «Leben mit Niereninsuffizienz»

Psycho-Nephrologische Beraterin Leiterin des Psycho-Nephrologischen Beratungszentrums «Leben mit Niereninsuffizienz»

Nieren in Not

Was steckt hinter der Störung der Nierenfunktion?

Die chronische Nierenkrankheit macht sich erst spät bemerkbar. Lies hier, welche Ursachen und Symptome die Krankheit hat und wie sie behandelt wird.

Was die Nieren alles leisten!

Die Organe können viel mehr als das Blut filtern

Die Nieren übernehmen viele wichtige Aufgaben. Was die Organe leisten, wie du sie schützt und welche Risikofaktoren ein Nierenleiden verursachen können.

So geht Patient Empowerment

Selbsthilfe für Betroffene

Patient Empowerment ist ein Konzept, bei dem ein kompetenter Patient aktiv zu seiner Behandlung beiträgt. Prof. Dr. Gerd Nagel erklärt den Therapieansatz.

chronische Niereninsuffizienz - So geht Patient Empowerment

Plötzlich nierenkrank

Mario Rossi über das Leben mit chronischer Nierenkrankheit

Mario Rossi steht mitten im Leben, als bei ihm eine chronische Nierenkrankheit diagnostiziert wird. Hier erzählt er seine Geschichte.

chronische Niereninsuffizienz - Plötzlich nierenkrank: ein Betroffener berichtet

«Ich muss umplanen.»

Eine Betroffene berichtet vom Leben mit Dialyse

Hedy Camenzind hat eine chronische Nierenkrankheit. Doch davon lässt sich die rüstige Rentnerin nicht unterkriegen. Hier erzählt sie, wie sie mit der Erkrankung umgeht.

chronische Niereninsuffizienz - Leben mit Dialyse: ich muss umplanen